Die "Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen" (RAB) werden vom Ausschuss für Sicherheits- und Gesundheitsschutz auf Baustellen (ASGB) aufgestellt und sollen der weiteren Entwicklung nachfolgend angepasst werden. Sie werden vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt (BArbBl.) bekannt gegeben.
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Nach Ziff. 1 der RAB 01 (BArbBl. 01/2001 S. 77) stellen die Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen eine Konkretisierung staatlicher Arbeitsschutzvorschriften für sichere und gesunde
Arbeitsbedingungen auf Baustellen dar. Nach Ziff. 4 der RAB 01 sind in den RAB die Erkenntnisse darüber zusammengestellt, wie die im Arbeitsschutzgesetz und den darauf gestützten Verordnungen,
insbesondere in der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (BaustellV), gestellten Anforderungen geführt werden können.
Nach ihrem eigenen Verständnis - so der Einleitungstext der jeweiligen RAB - geben die Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen den "Stand der Technik bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen" wieder.
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Die BaustellV ist eine Verordnung, die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 19 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) beruht. § 19 ArbSchG bezieht sich auf die Verordnungsermächtigungen des § 18 ArbSchG und
ermächtigt danach die Bundesregierung, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates auch in den Fällen zu erlassen, in denen dies zur Durchführung von Rechtsakten des Rates oder der Kommission
der Europäischen Gemeinschaften oder von Beschlüssen internationaler Organisationen oder von zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die Sachbereiche des Arbeitsschutzgesetzes betreffen, erforderlich
ist. Eine derartige Rechtsverordnung im Sinne des § 19 ArbGSchG stellt die BaustellV dar, die in Verbindung mit dem Arbeitsschutzgesetz der Umsetzung der EG-Richtlinie 92/97 EWG des Rates vom
24.06.1992.
Bei einer Rechtsverordnung handelt es sich um eine allgemein verbindliche Anordnung für eine unbestimmte Vielzahl von Personen, die nicht im förmlichen Gesetzgebungsverfahren ergeht, sondern von Organen der vollziehenden Gewalt gesetzt wird. Da sie Rechtsnormen enthält, ist die Rechtsverordnung Gesetz im materiellen Sinn. Insbesondere entfalten die darin enthaltenen rechtlichen Regelungen unmittelbare Außenwirkung.
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Die vom Ausschuss für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen aufgestellten "Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen" (RAB) stellen keine Rechtsverordnung im Sinne der §§ 18, 19 ArbSchG dar.
Dies bereits deshalb, weil sie nicht zur Durchführung eines Rechtsakts des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaft erforderlich sind. Darüber hinaus werden sie nicht von der
Bundesregierung im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG mit Zustimmung des Bundesrates erlassen.
Die RAB sind danach von ihrem Wesen und ihrer Wirkung mit der BaustellV nicht vergleichbar.
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Mit den RAB erläutert der Verordnungsgeber lediglich über die von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe materielles Arbeitsschutzrecht, insbesondere die BaustellV, selbst. Sie setzen also insbesondere kein
materielles Arbeitsschutzrecht, das gesetzes- oder verordnungsgleich unmittelbare Außenwirkung für die Rechtsanwender entfalten würde.
Die RAB dürften aber Verwaltungsvorschriften gleichstehen, als sie für außerhalb der Verwaltung stehende Bürger, also insbesondere die "privaten" Rechtsanwender der BaustellV, nicht verbindlich sind, also keine "Außenwirkung" entfalten. Verwaltungsvorschriften enthalten Anordnungen der vorgesetzten gegenüber nachgeordneten Behörden, die innerhalb der Verwaltung für eine Vielzahl von Fällen gelten sollen. Ob die RAB unmittelbar den Charakter von Verwaltungsvorschriften haben sollen, lässt ihre eigene Beschreibung offen und hängt von der verwaltungsinternen Umsetzung ab.
Die RAB können danach auch keine Rechtsgrundlage für belastende Verwaltungsakte sein. Eine derartige Rechtsgrundlage kann sich im Bereich des Arbeitsschutzes auf Baustellen ausschließlich aus der BaustellenV bzw. aus sonstigen Arbeitsschutzgesetzen ergeben.
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Problematisch ist das Eigenverständnis der RAB insoweit, als sie sich selbst als Wiedergabe des "Standes der Technik" beschreiben. Durch das Abheben auf den "Stand der Technik" wird der Maßstab für
das Erlaubte oder Gebotene an die "Front der technischen Entwicklung verlagert", da die allgemeine Anerkennung und die praktische Bewährung allein für den Stand der Technik nicht ausschlaggebend
sind. Bei der Formel vom Stand der Technik gestaltet sich die Feststellung und Beurteilung der maßgeblichen Tatsachen für Behörden und Gerichte schwieriger als bei einem Verweis auf die "Allgemein
anerkannten Regeln der Technik". Sie müssen in die Meinungsstreitigkeiten der Techniker eintreten, um zu ermitteln, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist (BVerfG, NJW 1979,
359, 362). Das Abstellen auf den Stand der Technik verpflichtet also zur Berücksichtigung des jeweils erreichten technischen Entwicklungsstandes (BVerfG NJW, 1980, 759, 761).
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 ArbSchG haben die Arbeitgeber bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Diese allgemeinen Grundsätze nach § 4 ArbSchG sind nach § 2 Abs 1 BaustellV in der Planungsphase im Sinne der BaustellV zu berücksichtigen. Der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator hat nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BaustellV die Anwendung der allgemeinen Grundsätze nach § 4 ArbSchG während der Ausführung des Bauvorhabens zu koordinieren. Über den Verweis auf § 4 ArbSchG bindet also auch die BaustellV den Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator bzw. den Bauherrn an den Stand der Technik der Maßnahmen des Arbeitsschutzes.
Geben die RAB - tatsächlich - den Stand der Technik im Hinblick auf Maßnahmen des Arbeitsschutzes auf Baustellen wieder, so kommt ihnen praktisch über die §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 3 Nr. 1 BaustellV, § 4 Abs. 1 Nr. 3 ArbSchG mittelbare Aussenwirkung für den die BaustellV anwendenden Bauherren bzw. Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator zu.